Ein Blick in die Geschichte des Martin-Luther-Hauses
Die Geschichte des Martin-Luther-Hauses beginnt im Jahr 1853. Damals ließ Pfarrer Wilhelm Späing Stallungen für Kühe, Schweine und Pferde, eine Scheune mit Einfahrt, Wohnräume für einen Knecht sowie einen Aufbewahrungsraum für Korn errichten. „Ein Ökonomiegebäude, wie es den Bedürfnissen der Zeit entspricht“ heißt es in Aufzeichnungen im Kirchenarchiv.
Im Zeitalter der Industrialisierung konnte die Kirche die Bewirtschaftung ihrer Äcker nicht mehr lange aufrechterhalten. Da für die Landwirtschaft auch immer mehr Fachkenntnisse benötigt wurden, konnte der Pfarrer, dessen kirchliche Aufgaben in der wachsenden Gemeinde immer umfangreicher wurden, sich nicht mehr zusätzlich um die Landwirtschaft kümmern. Für die Kirche wurde die Landwirtschaft unrentabel und so wurden die Ländereien nach und nach verpachtet und das Vieh verkauft. Die Scheune, der Stall und die Wohnung verloren immer mehr an Bedeutung. Die Kosten für den Unterhalt des mehr oder weniger leer stehenden Gebäudes erforderten eine Menge Geld und so war allen Beteiligten klar, dass für das Gebäude eine neue Verwendung gefunden werden musste.
Für das Jahr 1926 finden sich im Kirchenarchiv Hinweise auf einen ersten Versuch, die Pfarrscheune zu einem Gemeindehaus umzugestalten. Dabei überlegten die Verantwortlichen zunächst, einen Saal mit Empore einzurichten, in dem 400 Personen Platz finden sollten. Außerdem waren eine Kaffeeküche, Toiletten, eine Bühne und eine Waschküche geplant. Das hätte allerdings zu einer aufwendigen baulichen Veränderung geführt. Mit diesen Plänen und den dadurch entstehenden hohen Kosten war das Provinzialkirchliche Bauamt für Westfalen nicht einverstanden und lehnte den Antrag ab.
Ein Jahr später, am 25. April 1927, stellte der Pfarrer Adolf Schneider einen Antrag an den Regierungspräsidenten in Arnsberg auf Gewährung einer Beihilfe zur Bekämpfung der Säuglings- und Kindersterblichkeit. In dem Antrag schrieb Schneider, dass die Kirchengemeinde Herscheid ein Ökonomiegebäude an das Pfarrhaus bauen möchte. Dieses soll den neuzeitlichen Bedürfnissen entsprechen. In diesem neuen Gebäude könnten nicht nur Vorträge gehalten werden, um die Säuglingssterblichkeit zu bekämpfen. Zudem wäre die Einrichtung einer Wohnung in dem neuen Gebäude geplant. Diese solle für die Fürsorgeschwester, die demnächst in der Gemeinde einen Wohnsitz benötigt, eingerichtet werden. Letztlich würde ein solches Gebäude sowohl im kirchlichen Interesse als auch dem der Volkswohlfahrt in der Gemeinde dienen. Der Regierungspräsident teilte in seinem Antwortschreiben allerdings mit, dass keine Mittel zur Verfügung stehen.
Auf eine weitere Anfrage von Pfarrer Adolf Schneider erhielt die Kirchengemeinde dann schließlich doch staatliche Mittel. Daraufhin schrieb der Pfarrer im Sonntagsblatt für die Gemeinde Herscheid: „Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Führers hat auch uns aus aller Verlegenheit geholfen. Zum Preise von 20 000 Mark ist ein großer Saal geschaffen, der 300 Gäste an Tischen fassen kann. Über dem Saale ist eine Schwesternstation mit vier Zimmern entstanden, ferner eine vier Zimmer umfassende Wohnung für den als Diakon ausgebildeten Gemeindebeamten im Hauptamt, der Küster, Kantor und Rendant ist und mancherlei Büroarbeiten leisten kann und vornehmlich auch die, in der heutigen Zeit so sehr wichtigen Sippenforschung machen kann.“
Am 12. August 1934 wurde das neue Martin-Luther-Haus mit einem Festgottesdienst eingeweiht. Pfarrer Krause aus Neuenrade erhielt dabei als Vertreter des Landesbischofs Münster die Schlüssel aus den Händen des Architekten Hugo Brinkmann. Im Sonntagsblatt schrieb Pfarrer Schneider anschließend: „Die Einweihungsfeier unseres Martin-Luther-Hauses, die am 12. August stattfand, verlief in erhebender und befriedigender Weise. Wir wissen, dass das neue Gemeindehaus große neue Aufgaben für das innere Gemeindeleben bringt. Das Gemeindehaus soll im besten Sinne des Wortes eine Zentrale der Gemeindepflege und eine Heimstätte unseres Volkstums werden. Gott gebe, dass wir die Aufgaben sehen – und lösen.“
Die staatliche Hilfe der Nationalsozialisten hatte aber auch negative Folgen, denn die NSDAP beanspruchte den Saal für ihre Veranstaltungen und die Kirche wurde praktisch aus ihren eigenen Räumen vertrieben. Selbst der Konfirmandenunterricht musste in dieser Zeit in der Schule abgehalten werden. 1940 wurden Teile des Gebäudes für den NSV-Kindergarten zur Verfügung gestellt, der sich zuvor im Reichsdienst-Lager im Müggenbruch befand. Bis März 1945 hatte im Martin-Luther-Haus der Herscheider Kindergarten unter Leitung von Theodora Hohl sein Zuhause. Als die Apostelkirche in den letzten Kriegstagen im April 1945 durch Artilleriebeschuss stark beschädigt wurde und die Wiedereinweihung erst im Jahr April 1949 stattfand, wurden die Gottesdienste im Martin-Luther-Haus gefeiert. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde das neue Gemeindehaus für viele unterschiedliche Veranstaltungen genutzt. Von der Mütterberatung bis zum Konfirmandenunterricht, Chorproben, Übungstunden des Posaunenchores, Jugendtreffen, Versammlungen, private Feiern und vieles mehr.
1976 wurde ein geräumiges Treppenhaus angebaut, damit das Gemeindebüro und die weiteren Räumlichkeiten, die sich im obersten Stock befanden, besser erreichbar sind. An dem 1934 eingeweitem Gebäude hatte die Zeit zahlreiche Spuren hinterlassen. Da eine Kernsanierung den Kostenrahmen vollkommen überstiegen hätte, entstanden 2007 die Pläne für den Abriss des alten Gebäudes und den Neubau des Martin-Luther-Hauses. Anfang November 2011 wurde das Neue Martin Luther-Haus feierlich eingeweiht. Das direkt angrenzende alte Pastorat wurde aufwendig renoviert und erstrahlt seit August 2010 in neuem Glanz. Darin befinden sich heute das Gemeindebüro, Jugendräume, das Jugendbüro und das Kirchenarchiv.